§ 35 StVO

Ich fotographiere immer mal wieder motorisierte Fahrzeuge, die Fußwege, Radwege und/oder Straßenquerungen blockieren. So auch letzte Woche dieses Alba-Fahrzeug, dass am Spreewaldplatz auf dem Radweg stand:

alba

Schon beim Fotographieren merkte ich, dass sich jemand im Wagen bewegte. Als ich dann auf der anderen Straßenseite ankam, wurde ich von dem Fahrer des Wagens angesprochen, ob ich ihn fotographiert hätte und ob er erkennbar sei. Er wollte, dass ich das Foto lösche. Und wollte wissen, warum ich fotograpiert hätte. Auf meinen Hinweis, dass das Fahrzeug auf dem Radweg stände, antwortete er, dass er nach § 35 StVO überall parken dürfte. Das konnte ich mir schlecht vorstellen. Auf dem Radweg Pause machen ist sicher nicht in der StVO erlaubt.

Das Internet hilft weiter die §35 StVO sagt aus:

(6) Fahrzeuge, die […] der Müllabfuhr dienen und durch weiß-rot-weiße Warneinrichtungen gekennzeichnet sind, dürfen auf allen Straßen und Straßenteilen und auf jeder Straßenseite in jeder Richtung zu allen Zeiten fahren und halten, soweit ihr Einsatz dies erfordert, zur Reinigung der Gehwege jedoch nur, wenn die zulässige Gesamtmasse bis zu 2,8 t beträgt. Dasselbe gilt auch für Fahrzeuge zur Reinigung der Gehwege, deren zulässige Gesamtmasse 3,5 t nicht übersteigt und deren Reifeninnendruck nicht mehr als 3,00 bar beträgt. Dabei ist sicherzustellen, dass keine Beschädigung der Gehwege und der darunter liegenden Versorgungsleitungen erfolgen kann. […]

Von Radwegen ist in dem Absatz keine Rede. Ich vermute, ein Radweg auf dem Fußweg ist kein Straßenteil. Möglicherweise ist er Teil des Gehwegs, das Alba-Fahrzeug hat den Gehweg nicht geputzt (und mag sogar zu schwer für den Gehweg sein). Aber selbst wenn die Müllabfuhr unter Umständen auf Radwegen stehen dürfte, Pausemachen ist sicher nicht eine Erfordernis des Einsatzes, die das Radwegparken erlaubt.

Zu Fragen bleibt jetzt nur, warum der Fahrer sich all die Mühe gemacht hat, mir über die Straße zu folgen, sein Recht am Bild einzufordern und mich zu belehren.


BVG propagiert Gefährdung von Radfahrenden

Ein „schönes“ Beispiel, wie in Berlin mit Konflikten um den begrenzten Platz auf den Fahrbahnen umgegangen wird, lieferten in diesem Jahr die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) in ihrem Fahrgast-Monatsheft „BVG plus“, das mir heute erneut in die Hände fiel (02/2012 – Download als 9-MB-pdf-Datei hier: http://www.bvg.de/index.php/de/binaries/asset/download/1026910/file/1-1).
Dort heiß es auf Seite 16f.  in einem Artikel über Radfahrer_innen und Busse auf Busspuren: „Solange ein Radfahrer möglichst weit rechts [auf der Busspur – motorlos]  fährt, sobald sich der Bus nähert und dabei die parkenden Autos im Blick behält, ist er auf der sicheren Seite.“ Das heißt faktisch nichts anderes, als daß sich Radfahrer_innen auf einer Busspur von Bussen ohne ausreichenden Sicherheitsabstand überholen lassen sollen – dies wird als regelkonformes Verhalten dargestellt! Radfahrer_innen, die sich nicht an den Rand drängen lassen, werden mit einem: „[S]o nicht: Wer links fährt, macht den nachfolgenden Bussen das Leben schwer und gefährdet sich selber.“ zurechtgewiesen. Daß mit solchen Handlungsanweisungen leichtfertig die Gesundheit von Radfahrer_inne_n aufs Spiel gesetzt wird, scheint dem Autor (und der BVG) egal zu sein. Daß der Mindestabstand beim Überholen eines Radfahrenden 1,50 Meter beträgt, wird zwar erwähnt, doch gleich anschließend eingeschränkt:

Wenn ein ausgewachsener Bus, mit 2,50 Meter Breite über eine 3 Meter breite Busspur rollt, ist nicht mehr viel Platz für die Radler. Es ist eng und kommt dadurch mitunter zu Konflikten.

Schuld an den Konflikten wäre gemäß der BVG-Logik natürlich der/die Radfahrend, wenn er/sie sich nicht BVG-gemäß überholen läßt, nicht der Bus, der den Mindestabstand nicht einhält.

Das wirft doch die Frage auf, was passiert, wenn ein Bus ein Taxi überholen will, das auf der Busspur fährt oder gar hält (um z.B. Fahrgäste ein- oder aussteigen zu lassen). Wird der/die Busfahrer_in auf der 3 Meter breiten Busspur überholen? Wird die BVG den/die Taxifahrer_in darauf hinweisen, möglichst am rechten Rand zu fahren, damit dieser Überholvorgang möglich ist? Wohl kaum. Entweder wird der Bus hinter dem Taxi bleiben oder – so es die Verkehrssituation erlaubt – ausscheren und auf der links angrenzenden Spur überholen. Warum also sollte dies bei Radfahrer_innen anders vonstatten gehen? Weil Taxis größere Kratzer im Buslack hinterlassen?


Der LKW-Fahrer und ich

Vor ein paar Tagen bin ich die Lohmühlenstrasse am Schlesischen Busch lang geradelt (auf der Straße und nicht wie die meisten Radfahrenden auf dem engen Fußweg). Hier ein Bild der Straße aus dem Sommer:

Lohmühlenstrasse am Schlesischen Busch

Ich fahre in die Richtung, in die auf dem Bild auch das Rad fährt. Die linke Seite der Straße ist komplett zugeparkt. Ich sehe wie ein LKW in die Straße auf mich zu reinfährt und das mit einer Geschwindigkeit, die der enge der Straße, dem Kopfsteinpflaster und dem Gegenverkehr (mir) in keiner Weise angemessen ist. Rechts von mir ist ein Bordstein und dahinter eine Absperrung. Ausweichen kann ich also nicht. Daher fahre ich weiter in die Mitte der Straße, um den LKW dazu zu zwingen abzubremsen und mich nicht zu gefährden. Der Fahrer gestikuliert mir, dass ich aus dem Weg soll.

Ich bleibe vor ihm stehen und auch er muss stehen bleiben. Ich gestikuliere, dass er das Fenster runter machen kann, damit ich mit ihm sprechen kann. Er weigert sich, macht eine abfällige Bewegung. So schreie ich ihn durch die Windschutzscheibe an, ob er die Straßenverkehrsordnung nicht kenne, dass er viel zu schnell auf mich zugefahren ist, etc. Er gibt mir zu verstehen, dass er meine Argumente für Blödsin hält. Irgendwann macht er doch das Fenster runter, will dass ich ihm Platz mache. Er behauptet, dass er gewußt hätte, dass wir beide anhalten würden müssen. So sah dass für mich gar nicht aus. Die Geschwindigkeit, die er hatte, wirkte auf mich als klares Zeichen, ich solle mich in Luft auflösen. Zudem kommen wir mit der Situation anhalten auch nicht weiter. Er kommt nicht an mir vorbei, ich nicht an ihm. Er kann nicht ausweichen, ich auch nicht, da links Autos und rechts die Absprerung ist. Er behauptet, dass er nicht hätte warten können, bevor er in die Straße eingefahren ist, da er dann die Kreuzung blockiert hätte (wenn ihm ein Auto entegegen gekommen wäre, hätte er natürlich gewartet). Auf den Vorwurf der überhöhten Geschwindigkeit reagiert er gar nicht. Dann behauptet er noch, dass doch genug Platz für uns beide wäre. Das kann ich gar nicht sehen, wenn er stehen bleiben würde, dann könnte ich mit Mühe vorbei schieben. Aber wenn er schnell fährt, würde ich mich auf dem Kopftsteinpflaster in erhebliche Gefahr begeben.

Der Fahrer eines geparkten Wagens mischt sich ein. Er will jetzt ausparken und wir sind im Weg. Ich sehe ein, dass ich nachgeben muss, da die Motorisierten in jeder Hinsicht (außer was die Argumente angeht) stärker sind. Nehme mein Fahrrad und hebe es über die Absperrung. Ein männlicher Teenager läuft vorbei und solidarisiert sich mit dem LKW-Fahrer, in dem er eine abfällige Bemerkung über mich macht.

Ich hasse es, wie mich die Motorisierten immer wieder gefährden, wie sie ihre Stärke ausspielen und mir meine Ohnmacht zeigen.


Die Straße ist für alle da – Shared Space

Zeit Online widmet sich in einem sehr ausführlichen Artikel dem Phänomen „Shared Space“.  Dieser „geteilte Raum“ gerät zunehmend in den Fokus der Stadtplaner_innen. Das Prinzip ist denkbar einfach: Sicherheit durch Verunsicherung.

Anstatt jedem Verkehrsteilnehmer_innen einen eigenen Straßenraum zuzuweisen und das Mit- bzw. heute vielmehr gegeneinander mit zahlreichen Ge- und Verboten, Ampeln, Schildern, Markierungen zu reglementieren, wird der Straßenraum von allen gemeinsam und gleichberechtigt genutzt. Die einzige feste Regel lautet: Rechts vor links. Die Verunsicherung im unregelemntierten Raum führt dazu, daß die Verkehrsteilnehmer_innen wieder miteinander kommunizieren, sich gegenseitig Zeichen geben müssen – und so aufeinander achten müssen.

Wenn Fußgänger, Skateboardfahrer, Radfahrer, Autofahrer, wenn die Eiligen und die Langsamen, wenn die Raser, die Flaneure, die Kinder, die Alten, die Karrieristen und die In-den-Tag-hinein-Lebenden sich einen Raum teilen, dann kann das nur gelingen, wenn sie sich gegenseitig im Blick haben. Sie geben sich Zeichen, weil es die Zeichen der Verkehrsbehörde nicht mehr gibt. Sie sind gezwungen, von sich selbst abzusehen und sich bewusst zu sein, dass sie nicht allein sind, sondern vielmehr etwas teilen, auch wenn es nicht mehr ist als ein Raum.

Die Folge: Die Geschwindigkeit sinkt (wobei bzw. wodurch der Verkehr flüssiger wird), Unfälle gehen zurück, die Straße wird lebendiger und lebenswerter für alle. Viele niederländische Gemeinden praktizieren Shared Space bereits sehr erfolgreich, und auch bundesdeutsche Kommunen planen, das Konzept einzuführen (so sind z.B. in Hamburg Modellprojekte geplant), oder sammeln bereits Erfahrungen damit (wie das niedersächsische Bohmte).

Kritik kommt unter anderem von Blinden- und Sehbehindertenverbänden. So werden u.a. mangelnde Orientierungsmöglichkeiten bzw. rücksichtsloses Parken auf vorhandenen Blinden-Leitstreifen bemängelt und Schwierigkeiten beim Überqueren der Straße angeführt. Diese Kritik ist ernstzunehmen, und  Mißstände müssen in jedem Fall unter Beteiligung der Betroffenen behoben werden. Shared Space kann nur erfolgreich sein, wenn es wirklich barrierefrei ist.


„Wem gehört die Straße?“

… fragt das berlinweit kostenlos verteilte Anzeigenblatt „Berliner Woche“ in seiner aktuellen Ausgabe (in dieser pdf-Datei auf Seite 6 bzw. auf der Print-Seite 11). Der Autor bezieht dabei eindeutig Position – gegen Radfahrer und für Fahrradkennzeichnung, Helmpflicht und ähnliche Sperenzchen. Seine Argumentation ist teilweise haarsträubend:

Kein Verkehrsmittel hat so viele technische Mängel wie Fahrräder, keines wird häufiger gestohlen – und keines ist so folgenschwer in Unfälle verwickelt. 6200 Rad-Unfälle wurden im vergangenen Jahr in Berlin registriert. Da sind zwar rund zwölf Prozent weniger als 2009, doch unter den 44 Verkehrstoten waren mehr Radfahrer als Autoinsassen. […] Radfahren, sagen viele Skeptiker angesichts solcher Zahlen, müsse man nicht unbedingt im Großstadtverkehr. Hauptunfallursache sind Fehler beim Abbiegen. Selbst dann, wenn Radfahrer auf separaten Radspuren unterwegs sind.

Und so weiter und so fort. Fassen wir kurz zusammen: Weil Radfahrende sogar auf Radspuren (von AUTOFAHRENDEN) übersehen werden, sollten Radler_innen besser gar nicht in der Stadt fahren. Sollen sie doch in ihrer Freizeit durch die blühende Natur fahren, für etwas anderes ist das Rad ja eh nicht zu gebrauche. Da wird es dann vielleicht auch nicht gestohlen.

Doch auch Radspuren sind pfui-bäh:

Zwischen Walter-Schreiber-Platz wurde in beiden Richtungen die rechte Fahrspur zum Radweg. Seitdem herrscht in Spitzenzeiten Chaos. Solche Maßnahmen, klagt das motorisierte Lager, sorgten für zusätzliche Staus im Berufsverkehr.

Was wohl passieren würde, wenn die geschmähten Radler_innen alle ihren Drahtesel stehenlassen und statt dessen ins Auto (durchschnittliche Auslastung natürlich 1,4 Personen pro Fahrzeug) steigen würde? Dann würden Stau und zähfließender Verkehr natürlich wie von Zauberhand verschwinden. Klarer Fall.

E-Bikes und Pedelecs knöpft sich der Autor auch noch einmal vor.

Mühelos und geräuscharm fährt man mit ihnen 25 Stundenkilometer. Das ist auch Wasser auf die Mühlen derer, die bereits für normale Fahrräder eine Kennzeichnungspflicht und regelmäßige TÜV-abnahmen fordern. Diskutiert wird auch, Helme, Warnwesten und einen Radführerschein zur Pflicht zu machen. Sinn würde das durchaus haben. Denn, was die meisten nicht wissen, bei krassen Fehlverhalten auf dem Fahrrad droht heute schon der Führerscheinentzug.

Wie verwerflich: Schnell und bequem (Pfui!)  in der Stadt (Pfui!) unterwegs zu sein, ohne die Umwelt zu schädigen, ohne Geld für Benzin auszugeben. Und das auch noch in Massen. Das gehört verboten! Und wenn die Radler_innen dann von Autofahrenden beim fehlerhaften Abbiegen umgekachelt werden, sind sie selbst schuld. Hätten sie (die Radler_innen wohlgemerkt) doch  eine Fahrerlaubnis gemacht und ein Kennzeichen getragen. Das hilft bestimmt. Nicht.


Abstand halten

Bei dem wunderschönen Wetter haben wir heute zu viert eine Radtour gemacht. Auf einer Berliner Straße sind meine Mitradler_innen (regelwidrig) auf dem Fußweg gefahren, ich bin (regelkonform) auf der Straße gefahren. Und zwar so, dass ich rechts von mir noch etwas Platz zum Ausweichen hatte, falls mich eine Auto zu schnell und nahe überholt (was mir ziemlich häufig passiert). Ein Auto fuhr an mir vorbei mit runtergelassenem Fenster, aus dem wurde ich von der Beifahrer_in beschimpft. Genau habe ich sie nicht verstanden, aber ich glaube sie meinte ich nehme zu viel Platz auf der Straße ein.

Kennen Autofahrende die StVO nicht? Wissen die nicht, dass Radfahrer_innen auf der Straße fahren müssen und dürfen (und nicht auf dem Fußweg)? Dass ihnen da auch das Recht auf ausreichend Platz zusteht und sie nicht am Randstein entlang schrappen müssen? Glauben Sie Radfahrer_innen müssten sich in Luft auflösen, sobald ein Auto vorbeikommt? Und glauben sie auch, dass Radfahrende das können?